Ein Erlebnisbericht zur Blind Pleasure von Marcel Mühlenhaupt
Um vorher einmal Duschen zu gehen, bin ich frühzeitig im WAMOS eingetroffen. Tandana und Chono begrüßen mich herzlich. Sogleich erinnert Chono mich daran, dass ich meine Augen mit der Binde bedecken soll. Denn heute geht es darum, die anderen Teilnehmer im Vorfeld nicht zu Gesicht zu bekommen. Doch zu spät, eine wunderbare Frau reicht mir ihre Hand: „Du bist Marcel“, bekräftigt sie meine Präsenz. Verdutzt lege ich die Hand in ihre, während sie sich vorstellt. Ich verschwinde schnell unter der Dusche, bevor mehr Überraschungen auf mich zu kommen. Beim Abtrocknen und Ankleiden lies es sich nicht vermeiden, das ich Teilnehmer beobachte, wie sie mit verbundenen Augen zur Toilette begleitet werden. Nachdem ich selbst Wasser gelassen hatte, bestand ich darauf, eine Augenbinde zu bekommen.
Langsam lotst mich mein Begleiter durch die Gänge, meine Gehstöcke übernehmen die Aufgabe eines Blindenstocks, sie melden mir ein Hindernis im voraus. Erstaunlicherweise kann ich mich mühelos orientieren. Meine Befürchtung, dass ich im blinden Zustand mein Gleichgewicht verliere, erweist sich als Täuschung. Denn mein Sehen unterstützt mich, die Gehbehinderung aus zu gleichen, die Räume abzuschätzen und die Stabilität der Gegenstände ab zu wägen. Mit Babyschritten schreite ich voran, als wir in den großen Raum eintreten, höre ich Chonos Stimme, wie er die anderen Teilnehmer einweist, sie in die richtige Stimmung führt. Mein Begleiter sagt: „Mehr nach Rechts, geradeaus, noch zwei Meter bis zur Matratze“. Ich vertraue ihm, folge seinen sanft Anweisungen für die Gruppe ins Mikrofon spricht. Mein Platz ist direkt vor der Box, damit ich alles verstehe. Denn neben den Gehstöcken nutze ich Hörgeräte, um die Schwerhörigkeit auszugleichen. Auch hier hilft mir mein Sehen, Sprache besser zu verstehen, in dem ich zum einen von den Lippen ablese und zum anderen, die nonverbale Sprache nutze. Blind, bin ich jetzt in der ungewohnten Situation, mich auf mein Hören zu verlassen.
Chonos Worte kommen flüsternd zur mir, im Hintergrund läuft Musik, die schlechtesten Voraussetzungen für mich, dennoch verstehe ich recht gut, wenn gleich nicht alles. In der ersten Phase geht es darum, sich selbst zu spüren, zu liebkosen, Sinnlichkeit im eigenen Körper zu empfinden, die Kundalini Schlange zu wecken. Meine Hände gleiten über meinen Körper, die Taille, Hüfte, Bauch, Warzen und die Brustlinie herunter über dem Lingam. Ich Rolle, rege, strecke und bewege mich. Und immer wieder Atmen, um den Kreislauf des Lebens Zirkulieren zu lassen. Meine Sinne hören nur noch die Musik, die Worte verschwinden, geraten in den Hintergrund. Verliere den Faden zum gesprochenen, frage mich, ob ich die Überleitung zur Kontaktaufnahme verpasst habe. Horche, doch es gelingt mir nicht, mich darauf ein zu lassen. Bin nur bei mir in meinen Gefühlen, alles andere lenkt nur ab, trägt mich von mir weg. Ich finde ein Fuß über mir, zärtlich streichel ich diesen, gehe unsicher zu den Waden über, bin mir nicht sicher, ob es schon so weit ist. Nach einer Weile kommt eine Hand, die meine von der Wade nimmt und zu mir legt. War wohl zu Frühe, denke ich. Schade, denn ich hatte ertastet, dass die Wade weiblich war.
Mich packt die Panik, niemand zu finden, keinen Kontakt erstellen zu können. Dann, irgendwann bekomme ich mit, wie Chono langsam und schrittweise die Partnersuche eröffnet. Begebe mich, auf alle Viere. Krabble erst ein Stückchen, merke, dass ich mich der Box nähere, verstehe nun mit Leichtigkeit. Setze mich im Schneidersitz hin und lausche. Ein Arm legt sich um meine Schulter und eine weibliche Stimme sagt: „Du kannst dir jetzt einen Partner suchen“. „Ja, das habe ich mitbekommen“ bestätige ich. Fühle mich unsicher und unwohl in meiner Einschränkung, lausche und spüre Widerstände, mich auf die Suche zu begeben. Atme tief durch, überwinde mich und krabble allmählich los. Treffe auf eine Schulter, wir schmiegen uns aneinander, mein Hörgerät piepst, die Person verschwindet, fühle mich wie gelähmt, lege mich geschlagen hin. Kämpfe mit mir, suhle mich in meinem Scheitern, spüre einen Knoten in der Brust. Raffe mich auf, mache mich erneut auf die Suche. Finde einen Arm, folge ihm. Er fühlt sich sehr muskulös und maskulin an, streiche mich noch bis zur Achselhöle vor, merke: Darauf habe ich jetzt echt keinen Bock und ziehe weiter.
Lange nichts, nur leere um mich und in mir, bis ich mit einer Schulter Kontakt finde. Streiche den Arm lang, er fühlt sich weich und schlank an, der Geruch ist süß und betörend. Meine rechte Hand folgt ihm aufwärts, zum Brustraum, spüre kleinen zierlichen Busen, der mich betört, der mich erregt. Ihre weiche Hand streicht über mein Gesicht, über die Haare. Abrupt hört sie auf und entfernt sich. Der Knoten in meiner Brust schnürt sich fester, nimmt mir die Luft. Ich plumpse hin, resigniere, gebe auf. Atme tief durch, wiederhole dies, bis ich in einem Kreislauf bin. Beschließe, mich finden zu lassen, und vertraue dem. Nach einer gefühlten Ewigkeit, berührt mich eine Hand, studiert meine Gesichtszüge, streicht über meine Lippen. Berühre mit den Fingerspitzen zaghaft den Oberarm, traue mich nicht, fürchte, wieder abgelehnt zu werden, und schlucke benommen. Und als kämen die Geister, die ich rief, entfernt sich dieser Mensch. Nehme den Griff, des Traumas war. Bin gefangener seiner Macht, bin paralysiert- unfähig irgend etwas zu denken, fühlen oder um zu setzen. Lange liege ich da so, bis mir im Raum Bewegungen und Gespräche gewahr werden- bis ich registriere, dass die Zeremonie beendet ist.
Vorsichtig luke ich durch die Augenbinde, sehe wie die anderen herum laufen, trinken und sich unterhalten. Tief durchatmend, entferne ich die Binde, fahre mir durch die Haare und schaue mich um. Ich liege fast am Eingang des Raumes, die Box sichte ich am anderen Ende und mich überrascht die Strecke, die ich hinter mir gelassen hatte. Tandana ist plötzlich in meiner Nähe, ich bitte sie, mir die Gehstöcke zu holen. Nachdem ich mich mit den Gehilfen aufgerappelt hatte, trinke und esse ich erstmal was, wobei ich die anderen Teilnehmer beobachte. Die Männer sind in der Überzahl, die meisten von ihnen sind halb oder ganz nackt, ein Dreierpaar räkelt sich auf der Matratze. Etwas hilflos steht mitten im Raum, die wunderbare Frau. Ihre Kleidung ist schlicht und anmutig, sie fasziniert mich, ich genieße es. Die andren Damen sind ebenfalls mehr bekleidet als nackt, jedoch sehr figurbetont, mit erotischem Flair. Lange bleibe ich nicht mehr, mein privates Taxi kommt und fährt mich in den Norden. Rolle im Stuhl meine Abschiedsrunde, drücke Chono, Tandana und die Frau, die ich so Wunderbar finde, herzlich. Sie bietet sich an, mich nach unten zu begleiten. Unerwartet, stellt sich im Gespräch heraus, dass wir nur ein paar Straßen voneinander entfernt wohnen. Sie betont, dass sie an keine Zufälle glaubt und lächelnd biete ich ihr an, mit zu kommen, was sie freudig bejaht. Nach einer halben Stunde Fahrt verabschieden wir uns umarmend, unsere Hände finden sich zärtlich, es fühlt sich harmonisch an. Sie noch einmal bewundernd, erhellt es mich, dass ich im Zustand der Dunkelheit, die Zartheit ihrer Brust spürte.
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